(K)ein neuer Supermarkt in Büttgen – oder – Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast

Die Stimmkarte
Die Stimmkarte

Ich wohne – mit ein paar Jahren Unterbrechung – seit Ende der 1970er Jahre in Büttgen. Büttgen gehört zur Stadt Kaarst und hat knapp 6.500 Einwohner. Als wir hier hingezogen sind kam ich in die 3. Klasse, bin also quasi hier aufgewachsen und betrachte Büttgen daher als meine Heimat. Seit ich hier wohne gab es in Büttgen mehrere Supermärkte. Dabei gab es zwar über die Zeit immer mal wieder Änderungen durch neue Betreiber oder Umzüge, aber im Großen und Ganzen war die sogenannte Nahversorgung hier in Büttgen gesichert. Soweit so gut.

Nicht mehr zeitgemäß

Allerdings haben sich die Einkaufsgewohnheiten und -bedürfnisse seit den 1970er/1980er Jahren natürlich stark geändert, sodass die zwei zuletzt hier in Büttgen ansässigen Kaisers's-Märkte aus heutiger Sicht viel zu klein und einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Für den Wocheneinkauf einer vierköpfigen Familie sind die Supermärkte einfach nicht geeignet. Und so wurde in den vergangenen Jahren immer mal wieder über eine Vergrößerung oder Umsiedlung der bestehenden Supermärkte diskutiert. Eines der wichtigen Themen war dabei immer die Standortfrage, denn wir haben hier ein Büttgen einen, wie ich finde, durchaus brauchbaren Ortskern mit einer Reihe von Geschäften.

Neuen Schwung bekam die Diskussion vor etwa drei Jahren, als sich abzeichnete, dass Kaiser's die Mietverträge der beiden Märkte nicht verlängern will, da diese im Vergleich zu anderen Märkten nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind. Allerdings geschah das mit einer gewissen Hinhaltetaktik, denn eine eventuelle Verlängerung wurde immer noch offen gelassen.

Berliner Platz

Es gab also plötzlich akuten Handlungsbedarf. Denn der voraussichtliche Schließungstermin des Kaiser's-Marktes direkt am Rathausplatz war auf das Frühjahr 2014 datiert. Schon 2011 wurde vom Stadtrat ein sogenannter zentraler Versorgungsbereich festgelegt, in dem der neue Supermarkt angesiedelt werden soll. Die zur Verfügung stehenden Flächen innerhalb dieses Bereichs sind überschaubar und so fokussierte man sich schnell auf den Berliner Platz in direkter Nähe zum Ortskern. Derzeit existiert hier ein unspektakulärer Parkplatz, der eigentlich nie ausgelastet ist, sowie ein paar zum Teil alte Bäume. Abgesehen vom anliegenden Ortskern befindet sich ringsherum Wohnbebauung. Wenn man ehrlich ist, handelt es sich beim Berliner Platz um eine überflüssige und ungenutzte Fläche mitten in Büttgen. Also eigentlich ideal für einen neuen Supermarkt.

Die Stadt Kaarst führte daraufhin ein sogenanntes Interessenbekundungsverfahren durch, bei dem sich interessierte Investoren bewerben konnten. Deadline war Ende 2012. Sechs Bewerbungen sind nach Angaben der Stadt eingegangen und von diesen wurden drei um konkrete Entwürfe gebeten. Dafür war bis Ende Juni 2013 Zeit und schon im September 2013 wurden die eingereichten Entwürfe von der Stadt vorgestellt. Es sind meiner Meinung nach durchaus interessante Varianten dabei, die sich gut in den Ort einfügen. Und alle bereits mit REWE als konkreten Betreiber. Aus meiner Sicht könnte man also mit dem Bau beginnen. Aber so einfach ist das ja nicht.

Zwischenzeitlich wurde übrigens auch erneut über Vertragsverlängerungen der bestehenden Märkte verhandelt. Diese blieben aber ergebnislos. Und so ist seit 1. März 2014 der Kaiser's-Markt am Rathausplatz geschlossen. Und das ist auf dem Rathausplatz deutlich spürbar. Da ist jetzt nix mehr los.

Widerstand

Wie das so üblich ist bei neuen Großprojekten, regte sich natürlich umgehend heftiger Widerstand von „Betroffenen“, also in diesem Fall von den umliegenden Anwohnern. Diese haben eine sogenannte Bürgerinitiative mit dem Namen „WIR in Büttgen“ gegründet. Kritik von Anwohnern ist ja grundsätzlich erstmal nachvollziehbar, allerdings hatte die Kritik und das aggressive Vorgehen der Initiative von Beginn an eine besondere „Qualität“. Seit über zwei Jahren wird der Berliner Platz nun durch große Banner und Plakate zusätzlich verunstaltet. Man dachte sich viele neue Argumente aus, so wurde z.B. der Naturschutz vorgeschoben. An alle Bäume auf dem Berliner Platz wurde ein Schild genagelt, um auf den baldigen Tod der Bäume aufmerksam zu machen. Es natürlich völlig normal, dass man als Naturschützer Nägel in Bäume schlägt...

Auch in den Medien bekam die Bürgerinitiative ein großes Forum. Allen voran bei der NGZ, die alles was die Initiative so publizierte, relativ kommentar- und kritiklos abdruckte. Die Bürgerinitiative versuchte immer den Anschein zu erwecken, für ganz Büttgen zu sprechen und die Interessen aller Büttger Bürger zu vertreten. Bei näherer Betrachtung wird aber schnell klar, dass es sich hier nur um eine relativ kleine Gruppe von Anwohnern handelt, die einzig und allein ihre eigenen Interessen im Auge hat.

Als die Entwürfe der Architekturbüros vorlagen, kam die Bürgerinitiative wieder auf eine wahnwitzige Idee: Sie verlangte von der Stadt, dass diese 1:1-Modelle der geplanten Entwürfe aus Gerüsten und Planen auf dem Berliner Platz aufbauen lässt, damit sich die Bürger ein Bild von der Größe machen können... Die Stadt kam der schwachsinnigen Forderung selbstverständlich nicht nach.

Den nächsten Coup wollte die Initiative dann mit der Präsentation eines Investors für einen Riesen-Supermarkt an der Birkhofstraße landen. Man präsentierte einen Entwurf der aus einem großen Vollsortimenter, einem Drogeriemarkt und einen ebenfalls großen Discounter besteht. Aus meiner Sicht ein völlig größenwahnsinniges Projekt. Konkrete Betreiber konnte wollte man aber nicht nennen. Abgesehen davon, dass völlig unklar ist, ob die dortige Fläche überhaupt zur Verfügung steht, halte ich es auch für relativ unwahrscheinlich, dass sich entsprechende Betreiber insbesondere für den Drogeriemarkt und den Discounter finden lassen. Denn die Standortanforderungen der potenziellen Betreiber lassen sich sehr schnell ergoogeln. Und da kann man sehr schnell nachlesen, dass der Einzugsbereich von Büttgen einfach nicht groß genug ist.

Die Umfrage(n)

Vor kurzem war in NRW ja Kommunalwahl, ein klassischer Zeitpunkt also, um nochmal alle Geschütze aufzufahren mit denen man auf die eigene Position hinweisen kann. So dachte auch die von allen geliebte Bürgerinitiative und verteilte an alle Haushalte in Büttgen einen sehr populistisch formulierten Flyer mit Stammtischparolen, in dem erstmal viele Politiker beschimpft kritisiert wurden. Außerdem lag dem Flyer eine „Stimmkarte“ bei, mit der man über den gewünschten Supermarktstandort abstimmen sollte. Verlangt wurde neben dem Kreuzchen außerdem noch, dass man seine vollständige Adresse angibt und die Karte unterschreibt.

Ich bin zwar kein Anwalt, aber ich fand die Karte Datenschutzrechtlich schon etwas bedenklich. Es mag sein, dass für solche Umfragen/Unterschriftensammlungen/Petitionen die Angabe des Namens und der Adresse der Teilnehmer notwendig sind. Aber insbesondere dann sollte es doch auf der Karte ebenfalls zwingend so etwas wie eine Datenschutzerklärung geben. Also was mit den erhobenen Daten passiert. Weiterhin wurde auch nur eine Karte pro Haushalt verteilt. Ein Single-Haushalt hatte somit also relativ gesehen ein höheres Stimmrecht als ein großer Familien-Haushalt. Komisches Demokratieverständnis.

Facebook-Gruppe

In der Büttger Facebook-Gruppe wurde darüber natürlich auch heiß diskutiert. Hier meldeten sich dann auch viele, dass sie gar keine Karte bekommen hätten. Die Initiatoren dieser Umfrage haben sich allerdings bis heute nicht dazu geäußert. Überhaupt hört man von den Mitgliedern der ansonsten sehr populistisch veranlagten Bürgerinitiative gar nichts dort. Die Büttger Gruppe hat aber immerhin über 800 Mitglieder und sollte so zumindest eine gewisse Relevanz haben. Rein vom Gefühl her sind die meisten Mitglieder dort für den Standort am Berliner Platz. Den gleichen Eindruck habe ich im übrigen auch, wenn man mit anderen Büttgern spricht. Da lag es also nahe, die Frage der Stimmkarte auch mal in der Gruppe zu stellen. Das Ergebnis stellt sich wie erwartet mit einem sehr eindeutigen Votum für den Berliner Platz dar. Bei einer Beteiligung von ca. 20% Prozent der Gruppenmitglieder. Nicht unbedingt rekordverdächtig, aber immerhin.

Gestern hat nun auch die WIR-in-Büttgen-Initiative stolz das Ergebnis ihrer Umfrage veröffentlicht. „Natürlich“ mit einem komplett umgekehrten Ergebnis. Wie kann das sein?

Die Initiative spricht von einer flächendeckenden Flyerversorgung. Was flächendeckend bedeutet, kann man sicher mal diskutieren, wenn scheinbar nicht mal jeder Haushalt eine Karte bekommen hat. Angeblich wurden 5.700 Stimmkarten verteilt. 1.023 Stimmkarten seien zurück gekommen, was einer Rücklaufquote von knapp 18% entspricht. Diese magere „Wahlbeteiligung“ liegt sogar noch unterhalb der Beteiligung bei Facebook, wird uns von den Initiatoren aber als großes Interesse der Büttger Bürger verkauft. Noch interessanter wird es, wenn man weiter erfahren darf, dass nur 892 Karten gewertet wurden. Hier kann man sicher davon ausgehen, dass es sich bei den „ungültigen“ Karten ausschließlich um Befürworter des Berliner Platzes handelt. Mir sind selber einige Fälle bekannt, wo neben dem Kreuzchen noch ein paar saftige Kommentare von genervten Büttgern dazu getextet wurden. Diese dürften dann sicher auf dem Stapel der ungültigen Karten gelandet sein.

Was auch auffällt, dass deutlich mehr Stimmkarten aus dem Büttger Süden (dort wo sich der Berliner Platz befindet) abgegeben wurden. Wenig überraschend, da die Initiatoren mit Sicherheit alle Gegner des Standortes Berliner Platz sowie die gesamten Anwohner und Nachbarn mobilisiert haben werden. Genauso kann man davon ausgehen, dass alle die nur noch genervt von der Bürgerinitiative sind, gar nicht erst abgestimmt haben und sich somit natürlich indirekt ebenfalls gegen den Berliner Platz ausgesprochen haben.

Das Ergebnis wurde natürlich auch wieder von der NGZ veröffentlicht. Und natürlich völlig ungefiltert und kommentarlos. Es wurde nichts hinterfragt und es gab auch keinen Hinweis z.B. auf die Umfrage bei Facebook, die ein deutlich anderes Ergebnis zeigt. Schade, dass hier nicht mehr journalistisch gearbeitet wird und nur stumpf Pressemitteilungen abgetippt werden.

Fazit

Viel Rauch um nichts. Die Politik wird beiden Umfragen keinerlei Bedeutung schenken und weiter die Planung eines Supermarktes am Berliner Platz vorantreiben. Mir soll es Recht sein. Hauptsache es dauert nicht noch länger und es passiert etwas bevor der letzte verbliebene Markt auch noch schließt. Denn ich würde zum Einkaufen gerne in Büttgen bleiben und nicht in die umliegenden Orte nach Vorst, Kaarst oder Kleinenbroich fahren müssen.

Die meisten meiner Freunde und Bekannten in Büttgen sind von der Bürgerinitiative nur noch genervt und hoffen genau wie ich, dass es endlich den ersten Spatenstich am Berliner Platz gibt.

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Das Ergebnis der Postkarten-Umfrage (Quelle: Initiative WIR in Büttgen)
Das Ergebnis der Postkarten-Umfrage (Quelle: Initiative WIR in Büttgen)
Das komplett gegenteilige Ergebnis der Umfrage bei Facebook
Das komplett gegenteilige Ergebnis der Umfrage bei Facebook
Bisher 2 Kommentare
  1. Helmut Becker

    Helmut Becker

    13. Juni 2014, 17:41 Uhr

    Sehr verdienstvoll: eine vollständige historische Aufarbeitung der leidigen Supermarktdiskussion. Diese Arbeit hätte sich mal die Lokalreporterin der Neuss-Grevenbroicher Zeitung machen sollen!

  2. Maby Schut

    14. Juni 2014, 21:26 Uhr

    Es ist für mich auch völlig unverständlich, dass die NGZ alles druckt was diese Herrschaften servieren. Zum Thema Drogeriemarkt sei gesagt: ich selber habe Kontakt zu dm und diese haben leider kein Interesse an Büttgen. Rossmann ebenfalls nicht. Schriftverkehr auf Wunsch einsehbar. Im Gegensatz zu den Wahlkarten.

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